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Kapitalmarkt & Aktuelles

Stell Dir vor, es ist Rezession

Wolff Seitz 11.01.2023 2 Min Lesezeit

Liebe Leserin, lieber Leser, 

auf diesem Weg wünsche ich Ihnen zunächst alles erdenklich Gute für das noch junge neue Jahr! Ich hoffe sehr, dass Sie den Jahreswechsel unbeschadet überstanden haben – was keine Selbstverständlichkeit ist, wie man den Medien am Neujahrsmorgen entnehmen konnte. Das traf insbesondere Ordnungs- und Rettungskräfte, die traurigerweise Opfer krimineller Angriffe wurden – auch und gerade unter Einsatz von Feuerwerkskörpern. 

Ich für meinen Teil habe es wieder ausgesprochen ruhig angehen lassen: Mitternacht habe ich bereits in der Waagerechten verbracht – und nein, es war nicht der Alkohol …  

Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten mehrheitlich eine Rezession 

Wie bekannt, bin ich zudem kein Freund des Böllerns. Umso interessanter finde ich es, dass man aus Berichten über das diesjährige Silvesterfest den Eindruck gewinnen kann, dass sich die Umsätze mit Böllern, Raketen & Co.  wieder auf einem Niveau wie vor der Pandemie bewegt haben. Denn das könnte man als positiven Beleg für die wirtschaftliche Lage unseres Landes verstehen: Die Stimmung scheint besser, als die Prognosen glauben machen. Schließlich gehen die meisten Wirtschaftsforschungsinstitute und in ihrem Gefolge die Analysten der Bankenbranche davon aus, dass Deutschlands Wirtschaft 2023 schrumpfen wird. So erwartet beispielsweise der Internationale Währungsfonds ein Minus von 0,3 %. 

Doch wenn der Mann auf der Straße – ja, Böllern ist tatsächlich überwiegend eine von männlichen Heranwachsenden und Erwachsenen verfolgte Aktivität – sich in der Lage sieht, trotz nie dagewesener Preissteigerungen bei den Lebenshaltungs-, insbesondere aber Energiekosten, weiterhin Geld zu verbrennen bzw. in die Luft zu jagen, könnte in weiten Kreisen der Bevölkerung mehr Geld vorhanden sein als von Konjunkturforschern vermutet. Zumindest aber könnte die Zuversicht verbreitet sein, dass auch 2023 ausreichend davon vorhanden sein wird – wenn es sich bei den Zündeleien der vergangenen Tage nicht doch nur um Nachholeffekte aus zwei Jahren Zwangspause gehandelt hat. 

Arbeitsmarkt und staatliche Unterstützungsprogramme verbessern die Stimmung 

Worauf könnte diese Zuversicht gründen? Da ist zum einen die Erkenntnis, dass auch fast ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges und der damit einhergehenden wirtschaftlichen Belastungen die Arbeitsmarktlage unverändert gut ist – zumindest aus Arbeitnehmersicht. Denn der Arbeitskräftemangel, ob nun Fachkraft oder nicht, hält an bzw. verschärft sich weiter – auch weil weite Teile der Politik immer noch der Auffassung sind, dass eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit trotz anhaltender Verlängerung der Lebenserwartung ihrer Wiederwahl nicht zuträglich sei. 

Zum anderen schätzen viele Menschen die Wirkung der staatlichen Unterstützungsprogramme, aber auch vieler kommunizierter Tarifabschlüsse für ihren eigenen Geldbeutel möglicherweise höher ein als die besagten Konjunkturforscher. Zu diesen einkommenserhöhenden Maßnahmen zählen Energiepreispauschalen für Erwerbstätige, Heizkostenzuschüsse für Wohngeld- und Bafög-Empfänger, Einmalzahlungen für Bezieher von Sozialleistungen und Arbeitslosengeld, Gas-, Wärme- und Strompreisbremsen, steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämien von Arbeitgeberseite, ein auf zwölf Euro erhöhter Mindestlohn sowie Tarifabschlüsse, die je nach Branche für einzelne Tarifgruppen Gehaltssteigerungen von 20 Prozent und mehr innerhalb eines Jahres beinhalten. 

Im Ergebnis kann ich mir deshalb auch vorstellen, dass das rezessive Moment ausbleiben wird oder eben nur ein Moment bleibt – frei nach Carl Sandburg: Stell Dir vor, es ist Rezession und keiner geht hin. 

Aktien wie Anleihen wieder attraktiver 

Was diese nicht nur in Deutschland, sondern in weiten Teilen Europas staatlicherseits initiierte und auf Pump finanzierte Umverteilung für die eigene Kapitalanlage bedeuten kann? Nun, mit Blick auf die dadurch beförderte Staatsverschuldung und die Inflation, die 2023 etwas niedriger ausfallen sollte, werden die Zinsen wohl vergleichsweise hoch bleiben. Im Ergebnis wäre mit Anleihen aufgrund der Coupons wieder zu rechnen – im wahrsten Sinne des Wortes. 

Doch auch Unternehmensbeteiligungen sind wieder attraktiver geworden – denn wer langfristig an die Überlegenheit der privaten Marktwirtschaft glaubt, wird zurückgehende Aktienkurse als Einstiegsmöglichkeit begreifen. Dies gilt umso mehr, wenn er ein rezessives Moment nicht fürchtet und einen mehrjährigen Anlagehorizont hat. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich es nicht versäumen, auch in diesem Beitrag wiederholt dafür zu werben, weniger mit Fokus auf Deutschland, sondern europäisch bzw. global zu investieren. Denn unabhängig von der generell gebotenen Streuung von Kapitalanlagen wäre es – nicht nur mit Blick auf den deutschen Arbeitsmarkt und den deutschen Staatshaushalt, siehe oben – finanziell viel riskanter, sich nur in den eigenen Grenzen zu bewegen. 

Da tröstet im Fall der Fälle auch keine erhöhte Aktivität in Sachen Feuerwerk – lassen Sie es also meinetwegen beim nächsten Jahreswechsel gern wieder ruhiger angehen. 

Mit herzlichen Grüßen aus Hamburg 
Wolff Seitz 

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