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Nachhaltig? Nachhaltiger.

Nachhaltigkeit bei Investmentfonds: Was heißt das eigentlich?

Wolff Seitz 30.07.2021 6 Min Lesezeit

Hätten Sie mich gestern gefragt, ob in den vergangenen Jahren von der Gesellschaft für deutsche Sprache e.V. (GfdS) der Begriff „nachhaltig“ bzw. „Nachhaltigkeit“ schon auf das Siegerpodest gehoben worden sei, hätte ich mit ja geantwortet. Mehr noch: Ich hätte mit Ihnen um einen Zehner gewettet.

Heute habe ich recherchiert: Nein, kein einziges Mal schaffte es der Begriff „nachhaltig“ auf das Siegertreppchen. 1998 langte es immerhin für Platz 11. Aber so häufig, wie ich dieses Wort in diesem Jahr nicht nur im beruflichen Kontext gehört habe, bin ich felsenfest davon überzeugt, dass es noch etwas werden kann mit Gold, Silber oder Bronze.

Nachhaltigkeit als Trendthema

Denn es treibt immer mehr Menschen um: Mit Freunden unterhalte ich mich über den Umstieg von Wurst auf vegetarische Als-ob-Alternativen, die zwar wie Salami oder Teewurst schmecken und aussehen, aber eben kein Tierfleisch enthalten. In puncto Auto protzen wir nicht mehr mit den PS, sondern mit dem unglaublich niedrigen Kraftstoffverbrauch, und beim Bäcker entscheide ich mich jedes Mal aufs Neue, ob der Plastikdeckel auf dem Coffee-To-Go wirklich sein muss.

Nachhaltig leben zu wollen, wird zu einer Bewegung. Aber was heißt es überhaupt, nachhaltig zu sein? Gibt es diese Eigenschaft in einer absoluten Ausprägung? Oder geht es im ersten Schritt nicht vielmehr darum, heute nachhaltiger unterwegs zu sein, als ich es gestern war?

In unserer Industriegesellschaft ist es – eingebunden in das berufliche, soziale und private Netzwerk – meines Erachtens eher ein Prozess als ein Zustand. Letzterer wäre am schnellsten zu erreichen, indem ich mich nackt in den Wald lege und dauerhaft das Atmen einstelle. Aber so radikal bin ich nicht.

Wann ist ein Unternehmen nachhaltig?

Auch in puncto Kapitalanlage greift der Begriff um sich. Aber gibt es nachhaltige Unternehmen und Staaten? 1987 hat die nach ihrer Vorsitzenden, der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin, benannte Brundtland-Kommission im Auftrag der Vereinten Nationen definiert: Eine nachhaltige Entwicklung erfüllt die Bedürfnisse der Gegenwart, ohne die Fähigkeit zukünftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen.

Diese Definition beinhaltete, dass es durchaus legitim sei, begrenzt vorhandene Rohstoffe, wie z. B. fossile Energieträger, zu verbrauchen, sofern technologischer Fortschritt und Substitute erkennbar seien, die die Bedeutung des jeweiligen  Rohstoffs zukünftig reduzieren würden.

Ob ein Unternehmen nachhaltig agiert, lässt sich trotzdem nicht anhand naturwissenschaftlicher Gesetze messen. Hier ist politischer und gesellschaftlicher Konsens gefragt. So diskutieren die EU-Mitglieder beispielsweise, ob die Energiegewinnung mittels Atomkraft als nachhaltig zu betrachten ist. Während die Franzosen das mit Blick auf den einhergehenden Verzicht auf CO2-Emissionen bejahen, verneinen es die Deutschen unter Verweis auf die Lagerproblematik des radioaktiven Brennstoffes.

Aber auch in der Bewertung anderer Industrien und Unternehmen ist man sich uneins. Ist der Marktführer der batteriegetriebenen Pkw, der US-Amerikaner Tesla, in Bezug auf seine Nachhaltigkeit positiv zu bewerten? Es gibt zwar Rating-Unternehmen, die sich auf derartige Einschätzungen spezialisiert haben, aber diese kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während die einen insbesondere die Rohstoff-Gewinnung für die Batterieerzeugung kritisch einstufen, überzeugt die anderen der – zumindest vor Ort – CO2-freie Antrieb. Ein hartes und einfaches „richtig“ oder „falsch“ gibt es also nicht.

Kriterien zur Nachhaltigkeit bei Kapitalanlagen

Doch viele Anleger wollen es bequem – die Gewissensentscheidung beim Coffee-to-Go ist ihnen schon Belastung genug. Die EU-Kommission will deshalb Standards setzen und hat beschlossen, Kapitalanlagen in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit zu bewerten. Die Kriterien für diese Bewertung sollen je nach Verwendungszweck unterschiedlich ausfallen. Während an den Maßstäben, die im Zuge der Anlageberatung Anwendung finden, noch gefeilt wird, stehen die Maßstäbe für Zwecke der sogenannten Transparenzverordnung der Europäischen Union bereits fest.

So müssen Kapitalanlagen, die dem Artikel 9 der EU-Transparenzverordnung genügen wollen, sich dazu verpflichten, eine positive Veränderung zu bewirken – entweder hinsichtlich der Erreichung eines Umweltziels oder eines sozialen Ziels. Das messbar zu gestalten, wird in der Praxis schwerfallen. Und da Europas nationale Regulierungsbehörden – in Deutschland die BaFin – gerade unterschiedliche Maßstäbe entwickeln, kann ein Luxemburger Fonds nach Artikel 9 nicht mit seinem deutschen Pendant in einen Topf geworfen bzw. verglichen werden.

Kapitalanlagen nach Artikel 8 müssen sich zum Ziel gesetzt haben, die mit einer Unternehmenstätigkeit verbundenen negativen Folgen zu minimieren. Sei es, dass man darauf verzichtet, Aktien von Energieversorgern zu erwerben, die aus der thermischen Verwertung von Kohle Strom und Wärme gewinnen. Sei es, dass man Anleihen von Staaten ablehnt, die sich systematischer Verletzungen von Menschenrechten schuldig machen.

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Best-in-Class Ansätze statt Ausschlusskriterien in der Praxis

Doch auch hier folgen die Probleme in der Praxis. Schließt man jedes Unternehmen aus, das ein Kohlekraftwerk sein Eigen nennt, schneidet man Unternehmen vom benötigten Kapital ab, die zwar überwiegend regenerative Energiequellen nutzen, aber aus Gründen der auch für mich persönlich wichtigen Versorgungssicherheit – Wind bläst nicht immer  und die Sonne scheint keine 24 Stunden am Tag – auch noch Kohlekraftwerke besitzen. Und wer zu hohe Standards an die moralische Integrität von Staaten stellt, merkt plötzlich, dass sich der Kreis der in Frage kommenden Anleihen so sehr reduziert, dass eine aus Gründen der Streuung von Bonitäts- und Liquiditätsrisiken für den Anleger erforderliche Diversifikation nicht mehr zustande kommen kann.

Insofern ist in der Praxis häufig festzustellen, dass anstelle harter Ausschlusskriterien Best-in-Class-Ansätze treten. Das kann zwar dazu führen, dass in puncto Nachhaltigkeit zunächst noch der Einäugige der König unter den Blinden ist – aber es macht den Nachzüglern trotzdem deutlich, dass sie sich bewegen müssen, um von Anlegern Kapital bereitgestellt zu bekommen. Und darauf kommt es an.

Last but not least bleibt das Gros der Kapitalanlagen. Diese definieren sich nach Artikel 6 der EU-Transparenzverordnung. Sie gelten zwar nach den von der EU ersonnenen Maßstäben nicht als nachhaltig. Aber gerade bei Investmentfonds werden Anleger bereits regelmäßig mit Informationen zum Umgang mit Nachhaltigkeits- bzw. ESG-Risiken informiert.

Dabei steht

  • das E für Umwelt (Environment),
  • das S für Soziales (Social) und
  • das G für Unternehmensführung (Corporate Governance).

Und sie treffen auch auf Fonds, die sich Mindeststandards für eine nachhaltige Kapitalanlage verschrieben haben – sei es, dass sie mit Kinderarbeit befasste Unternehmen sanktionieren, sei es, dass sie Waffenhersteller, die auf Anti-Personen-Minen, Chemie- und Bio-Kampfstoffe setzen, ausschließen oder  dass sie Staaten, die sich systematischer Menschenrechtsverletzungen schuldig machen, aus ihrem Anlageuniversum verbannen.

Lässt man die Kapitalanlagen dieser Fonds hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit durch einschlägige Rating-Agenturen bewerten, sind die Gesamtnoten von Fonds nach Artikel 6 oft nicht nur auf demselben Niveau, sondern teilweise auch besser als die von  Fonds der Artikel 8 oder 9. Das zeigt, dass es nicht nur einen Weg zu einer nachhaltigeren Geldanlage gibt.

Eines nicht allzu fernen Tages wird man sich hoffentlich keine Gedanken mehr darüber machen müssen, da die nachhaltige Entwicklung auch bei Kapitalanlagen – im besten Sinne – zum Standard geworden sein wird. Dann aber wird es „nachhaltig“ auch nicht mehr auf das Siegertreppchen der GfdS schaffen.

Mit herzlichen Grüßen aus Hamburg,
Wolff Seitz

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